Gerhard Wimberger

Bernhard Paumgartner und das Heute

 

Man rufe sich dies alles ins Bewußtsein: Der kleine Berndl Paumgartner wird zur Winterszeit vor der Wiener Karlskirche aus einem Schneeloch, in das er hineingerutscht war, von einem Herrn mit majestätischem Vollbart herausgezogen, und dieser Herr war Johannes Brahms - sein Vater, der bekannte Wiener Musikreferent Dr. Hans Paumgartner ist mit Anton Bruckner eng befreundet und wird von diesem Muckerl" genannt - Hugo Wolf war ständiger Gast in seinem Elternhaus - seine Mutter sang Lieder Hugo Wolfs zum ersten Mal - der Neunjährige sieht in der Karlskirche bei der Einsegnungsfeier für Anton Bruckner im Dunkel eines Pfeilers Johannes Brahms stehen, und Tränen laufen über seine Wangen - der junge Mann sitzt bei einer Hauptprobe im Zuschauerraum des Salzburger Stadttheaters neben dem zusehenden Gustav Mahler und hört dessen Bemerkungen zu dieser altmodischen Inszenierung - der junge Direktor des Mozarteums geht mit Max Reinhardt über den Domplatz, und eine Idee formt sich: Die Stadt als Bühne. 1947, nach den dunklen Jahren, die Bernhard Paumgartner im Exil in Florenz und in der Schweiz verbringen mußte, fährt er in Lugano im kleinen Fünfziger-Steyr-Auto Richard Strauss spazieren Man versuche zu ermessen, was dies für ein Leben bedeutet, welche Prägungen dies bewirkt, und dies um so nachhaltiger, je stärker der Geist ist, dem dies alles zuteil wird.

Aber Menschen mit starkem Geist leben mit offenen Augen und Sinnen in ihrer Zeit, und sie schauen nach vorn, so lebendig in ihnen auch die Prägung durch ihre Herkunft bleibt. Zu solchen Menschen zählte in eindrucksvoller Weise Bernhard Paumgartner, der uns vor dreißig Jahren und drei Tagen verlassen hat. Wenn wir heute seiner gedenken, so soll jedoch nicht lediglich achtungsvoll an ihn erinnert werden, nein, das würde er wohl mit einem ironisch-geistvollen Aperçu kommentieren, sondern es soll herausgearbeitet werden, was diese von konstruktiven und weiterhelfenden Ideen sprühende Persönlichkeit uns heute zu geben hat, wie sie manche Entwicklung heute sehen würde.

Und da scheint mir, der ich lange Jahre in beruflicher und persönlicher Nähe zu ihm leben durfte, daß da einiges festzuhalten ist - festgehalten und ausgesprochen natürlich im Bewußtsein, auf einem heiklen Boden zu stehen, mittendrin im ewig prekäraktuellen Themenbereich Vergangenheit - Gegenwart, Tradition - Fortschritt, alt –jung, oder großgeschrieben: die Alten - die Jungen.

„Alles fließt" - Veränderung gehört zum Kosmos wie zum menschlichen Leben, und dies ist eine ebenso banale Erkenntnis wie die Folgerung daraus, daß es, salopp ausgedrückt, früher eben anders war als es heute ist. Und uns jetzt Lebenden wird das Schicksal zuteil, daß wahrscheinlich unsere Zeit in höherem Maß anders ist als es jemals früher aufeinanderfolgende Zeiten waren. Damit bin ich nun mitten im Thema „Bernhard Paumgartner und das Heute". Das „Heute" - natürlich ein abstrakt zusammenfassender, ein undifferenzierter Begriff, trotzdem drückt sich darin etwas Unbestimmt-Bestimmtes aus.

Meine Überlegungen stützen sich auf die vielen Gedanken, die Bernhard Paumgartner in seinen unzähligen Publikationen aufschrieb, und zudem hatte ich das Glück, mit ihm oft Gespräche über diese Themen führen zu dürfen.


Paumgartner war dem „Neuen" - auch solch ein undifferenzierter Begriff - lebenslang aufgeschlossen. Das erwies sich nicht nur darin, daß er bei den ersten Autorennen auf der neuerbauten Gaisbergstraße als Radioreporter fungierte, sondern dies erwies sich vor allem auch in für die Musik Lebenswichtigem: In der Zeit, da er bei den Salzburger Festspielen Mitglied des Direktoriums und dann ihr Präsident war, gab es wesentlich mehr Opernuraufführungen lebender Komponisten als etwa in letzter Zeit. Er war aufgeschlossen für Neues, ja, aber nicht für alles, was unter „neu" firmiert. Mit der heutigen Polarisierung von „konservativ" und „innovativ" in der Kunst, der fast zur Ideologie gewordenen Überschätzung des Kriteriums „neu" hätte er bestimmt keine Freude, vor allem nicht mit deren Folgen. Es kam ihm an auf dieses Undefinierbare, aber Entscheidende, das mit Wert, ja Bewertung zusammenhängt, es kam ihm an auf Qualität. „Innovation" sollte nicht unbesehen mit „Qualität" gleichgesetzt werden, wie dies heute oft geschieht.

Paumgartner hatte Geist, und er verlangte von der Kunst Geist, und, selbst ein großer Könner, er setzte Können voraus. Er zählte zu jenen Menschen, für die sich der Wert von Kunst an anderem und nicht nur zum Beispiel am Grad ihres Provozierens bemißt. Würde er umherblicken im edlen Kreise mancher heute Künstler genannten Künstler - na ja. Von Christian Morgenstern stammt das Wort: „Alles Vorwärts der Menschheit geht auf Kosten ihres Einwärts."

In seinem Buch „Erinnerungen", dessen Neuauflage in einer halben Stunde präsentiert wird, schrieb Paumgartner: „Die Zukunft gehört nicht den Schwachmütigen, nicht den Problematischen, nicht den am Leben Leidenden. Sie gehört denen allein, die das Leben mit zu bilden verstehen, die seinen Sinn vom Geist, vom Gemüt und von der Gesinnung her erfassen und zu durchleben wagen.“

Auf musikalischem Gebiet beklagte er das Vorherrschen eines wurzellosen “Intellektualismus", die Leidenschaft endlosen Experimentierens sowie die dadurch hervorgerufene Breitstreuung der Argumente, Stil und Darstellungsformen, die Unsicherheit des Urteils innerhalb der Fachwelt, bei Kritik und Publikum". Das ist vor mehr als dreißig Jahren geschrieben. Hat sich da etwas geändert, oder ist die Situation seither nicht noch unübersichtlicher, Anführungszeichen: „pluralistischer" geworden? Wir wissen: sie ist es. Stellt dies einen Gewinn für den Menschengeist dar, oder erfreut sich das Kulturleben heute schon einer derartigen Vielfarbigkeit, daß es zu dem Endzustand kommt, den man in der Optik als „weißes Licht“ und in der Akustik als „weißes Rauschen" bezeichnet? Lassen wir die Antwort offen. Vor fast fünfhundert Jahren schrieb Ulrich von Hutten: „O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben!" Halten wir uns an die letzten sechs Worte: Es ist eine Lust zu leben.

Bernhard Paumgartner war ein „Beweger des Geistes", wie es der damalige Universitätsrektor Stefan Rehrl 1967 bei der Ehrenpromotion des Achtzigjährigen sagte. So spricht er in einem Rundfunkvortrag schon lange vor der Formierung der EU vom Europa-Gedanken, und als Österreicher, als in Selbstverständlichkeit mit seinem Heimatland verbundener Österreicher findet er gute Worte über die „Kraft des österreichischen Raumes, die Eignung dieses Raumes, Individualitäten aus dem größeren europäischen Raum anzuziehen, festzuhalten, sich diese in geheimnisvoll liebenswürdiger Weise zu assimilieren, zu neuen schöpferischen Leistungen anzuregen." Er schrieb auch einmal: „Kultur ist immer streng umgrenzt. Sie braucht Heimat, Boden, Wachstum und Klima."

Paumgartner meinte mit dieser „Kraft des österreichischen Raumes" aber zweifellos nicht jene seltsame Kraft, mit der es zum Beispiel unseren öffentlich-rechtlichen ORF in die trüben Sümpfe unserer Spaß-, Krimi- und Thalkshow-Gesellschaft zieht. Natürlich hatte er als versierter Praktiker Sinn für Kommerzielles. Wenn aber Kommerzmotive sich vor Forderungen des Geistes oder der Kunst zu drängen begannen, schrie er auf. Und er konnte sehr eindrucksvoll aufschreien, der Herr Hofrat.

„Ein so talentierter Kerl!" schrieb Gustav Mahler in einem Brief an Paumgartners Mutter. Da war nicht nur ein Talent, sondern da war eine Fülle von Talenten, da war nicht nur Musik, Komponieren, Dirigieren, da war Wissenschaft, Forschen, Schreiben, da war Lehren, da war Organisieren, da war Präsidieren, da war Erblicken von Utopien, da war Erfinden - und noch vieles andere mehr, Malen, Segeln und Kochen, zum Beispiel aber auch Folgendes: Um das Jahr 1930 fuhr er nach Wien und legte dort seine Ideen und Anregungen zum Mutterschutz dar. Diese Anregungen wurden zum Gesetz erhoben.

Und er hat Ideen und Phantasien nicht bloß so hingesagt oder hingeschrieben, sondern diese Utopien wurden durch seine Tatkraft realisiert. Das ist das ganz Besondere an Bernhard Paumgartner: Er hat zeitlebens etwas bewirkt, das geblieben ist. Geblieben und erfolgreich sind nicht nur seine Werke, geblieben und erfolgreich sind die Serenaden und Mozart-Matineen der Salzburger Festspiele, geblieben ist und erfolgreich weiterwirkend die Camerata des Mozarteums, das Musische Gymnasium, als Idee schon 1948 formuliert, dessen Erfolg in Salzburg zu den „beglückendsten Tatsachen meines Lebens gehört", wie er sagte, fruchtbar weiter entwickelte sich der von ihm ausgegangene Anstoß zur Wiederentdeckung Mozartscher Jugendwerke, zu hoher Bedeutsamkeit gelangte der „Verein der Freunde der Salzburger Festspiele". Es ist sehr deutlich festzuhalten: Alles dies, und noch viel mehr, ist Ideen, Anstößen, Gründungen Bernhard Paumgartners zu verdanken. Alles dies ist heute wunderbar lebendig „Bernhard Paumgartner und das Heute".

1917 zum Direktor der Salzburger Musikschule ernannt, hatte er schon 1919 einen Vortrag in Wien gehalten mit dem Titel: „Eine musikalische Hochschule in Salzburg". Er plante damit einen Versuch einer „idealen Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft". Mit der Entwicklung „seines" Mozarteums vom Konservatorium zur Universität für Musik und darstellende Kunst hätte er große Freude. Es ist von ganzem Herzen zu wünschen, daß in diesem Haus jene Ausgewogenheit von Kunst und Wissenschaft erreicht wird, von der Paumgartner träumte, als er vom „musischen Gedanken" schrieb: „...der musische Gedanke uralter Verbundenheit des Künstlerischen mit dem Erkennenden".

Und als er 1959 sein Amt als Präsident der Akademie Mozarteum an seinen Nachfolger Dr. Eberhard Preußner übergab, sagte er die schönen Worte: „Nehmen Sie im Geiste aus meiner Hand den goldenen Schlüssel. Er hat mir täglich, über vierzig Jahre lang, mit der gewissen Unterbrechung, getreu den sonnigen Garten unserer Schule aufgeschlossen. Vor allem: pflegen Sie fürderhin getreu die blühenden Beete unserer Jugend. Sie verdient es."

Bernhard Paumgartner, der Lehrer: Unzählbar ist die Zahl seiner Schüler, die in der ganzen Welt für Kunst und Wissenschaft wirkten und wirken. Der Name eines seiner Schüler sei genannt: Herbert von Karajan. Und lebenslang hat sich dieser den Rat Paumgartners geholt.

Wissenschaft und Kunst. Wissenschafter und Künstler - meist aber: Wissenschafter oder Künstler. Nichts davon bei Bernhard Paumgartner. Bei jedem Schlag seines Taktstocks war zu spüren, daß er nicht nur die Noten in der vor ihm liegenden Partitur kannte, sondern um den Erfinder dieser Noten, den Komponisten, sein Umfeld, seine Zeit, seine Position in der Geschichte in bewundernswertem Ausmaß wußte. Und jede Zeile der wissenschaftlichen Arbeiten Bernhard Paumgartners ist geschrieben von einem Künstler, der formulieren konnte wie ein Dichter, ohne die Forderung nach wissenschaftlicher Korrektheit des Inhalts zu vernachlässigen. Eine herrliche Verbindung, besonders, wenn sie in solcher Selbstverständlichkeit geschieht wie bei ihm. Und er wäre recht einverstanden mit der heute sich abzeichnenden Tendenz in der Musikerziehung, sehr darauf zu achten, daß es beim Musiker nicht nur auf die Finger oder die Stimmbänder ankommt, sondern auch auf das Hirn.

Bernhard Paumgartner wurde in Wien geboren, Salzburg wurde seine zweite Heimat, die ihn allerdings, wie hier nicht unüblich, nach seiner Berufung nicht mit allzuweit geöffneten Armen empfangen hatte. Aber bald kannte er diese Stadt bis in die kleinsten Winkel ihrer architektonischen und landschaftlichen Kostbarkeit, und er kannte die Salzburger bis in die kleinsten Winkel jener in ihnen steckenden Mischung von leicht arroganter Weltstädtischkeit und alpiner Provinzialität. Er wohnte eine Zeit lang in Constanze Mozarts Sommerwohnung am Nonnberg, später auch in Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse. Er kannte Salzburg so gut, daß er es nicht nur lobte und pries, sondern beschrieb in einem Buch, in dem historische Präzision und architektonische Sicht mit poetisch-geistvollen Reflexionen brillant miteinander verbunden sind.

Wie könnte man zum Beispiel unsere Stadt und unsere Landschaft trefflicher beschreiben, als es in diesem Buch zu lesen ist: „Ein alter Bauer sitzt neben Paumgartner auf dem Gaisberg, mit dem Rücken an den steinernen Sockel des Gipfelkreuzes gelehnt, und sagt zu ihm: Dös is wohl a freudigs Umanandschau´n". Ich füge hier an: würde angesichts architektonischer Kapitalschnitzer heute der alte Bauer dies noch sagen, und was würde Bernhard Paumgartner in seinem Salzburg-Buch dazu bemerken? „A freudigs Umanandschau´n ?“ Meine Damen und Herren, er würde nicht nur schriftlich in seinem Buch, er würde, da bin ich ganz sicher, bei den dafür verantwortlichen Politikern mit aller ihm verliehenen Kraft zu herrlicher Grobheit feurig dreinfahren.

Oder wie einprägsam ist doch an einer anderen Stelle des Buches die Atmosphäre des Sankt Petersfriedhofs gesehen und erfühlt: „Unsagbar ernst und doch gar nicht traurig. Seine Aura scheint von jener unverwechselbaren ´hilaritas animi´ erfüllt, von der lächelnden Heiterkeit, die nur dem im Leide Gereiften aus dem Antlitz strahlt." Hilaritas animi, die Heiterkeit des Geistes, diese Ahnung eines Seelenziels, eines Lebensleitbildes. Wir hörten Paumgartner oft davon sprechen, versonnen und nachdenklich.

Auch ich denke nach: Heiterkeit des Geistes? Heute? Wie steht es heute mit dem Sinn für Heiterkeit, und wie steht es heute mit dem Sinn für dieses geheimnisvolle Lebenselement, das man „Geist" nennt? Weiß die heutige Gesellschaft, was unter „Geist" zu verstehen wäre, oder versteht sie darunter die Figuren in den Harry-Potter-Romanen? Wird heute statt „Geist" nicht allenthalben „Fun" gewünscht? Heute, in einer Zeit, da Veranstaltungen, jetzt auch schon Kulturveranstaltungen für unsere Konsumgesellschaft vor allem dann zählen, wenn sie nicht bloß ein Ereignis, sondern ein Event werden - einer Zeit, in der zum Beispiel die Zahl der Museumsbesucher sich drastisch vervielfacht, wenn dort Artisten, Zauberkünstler oder Feuerschlucker auftreten? Heute, in einer Gesellschaft, die ihre panische Angst vor der Kürze, Ausgesetztheit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens loveparadierend verdrängt, indem sie das Leben als Happening betrachtet.

Bernhard Paumgartner wäre wohl recht betroffen, ja entrüstet, sähe er sich heute kaum mehr von hilaritas animi, sondern weithin von stupiditas animi umgeben. Ich möchte einen Satz von André Gide hierhersetzen: „Wenn ich aufhören werde, mich zu entrüsten, werde ich zu altern begonnen haben."

Paumgartner und die Medien: Er wußte, daß diese für das Leben auf unserem Globus eine wichtige, eine entscheidende, wenn auch von ihnen immer bagatellisierte Rolle spielen, und er bediente sich ihrer gekonnt, indem er seine Gedanken und seine Meinung unzählige Male in Zeitungsartikeln und Rundfunkinterviews veröffentlichte. Seine Meinung als Künstler über die medial agierende Musikkritik sei nur kurz durch zwei Aussprüche und eine von ihm erzählte Geschichte angedeutet.

Er sagte einmal: Das Fernsehen haben wir erfunden, aber den Weitblick haben wir verloren." In seinen „Erinnerungen" schreibt er: Kurz, nachdem sein Vater ein glänzendes Referat über eine Symphonie von Anton Bruckner geschrieben hatte, wahrscheinlich war es die VIII., erschien Bruckner im Frack und weißen Glacéhandschuhen im Hause Paumgartner und überreichte der Mutter einen Blumenstrauß und dem Vater ein riesiges Stück oberösterreichischen Selchfleisches. Vom Festspielpräsidenten Paumgartner vernahm ich zwei Tage nach Aufführungen manchmal den Seufzer: „Was schreiben s´ denn wieder, die Tinterln." Horribile dictu. Man sieht also, daß die Meinung Paumgartners zur kritischrichtenden Zunft eine durchaus ausgewogene war. Lehren für die Gegenwart? Die Sache mit dem Selchfleisch sollten sich heutige Künstler überlegen. Es muß ja nicht Selchfleisch sein.

Der Dirigent Paumgartner und das Heute wie würde er wohl die doch andere Art, heute Mozart zu spielen, sehen und kommentieren? Er hatte stets von der „Labilität" des sogenannten Mozart-Stiles gesprochen, denn er war der Meinung: Es ist das Recht jeder Generation, das Übernommene anders als die Väter - stets im Licht der eigenen Geisteshaltung - neu zu erleben." Er wußte, daß jede Zeitspanne überzeugt ist, etwas absolut Richtiges zu tun. Er wußte natürlich, daß es „das Richtige" in der Kunst nicht gibt. Ob er mit der heute als „richtig" verkündeten zur Weltanschauung gewordenen Musikanschauung „Originalklang" glücklich wäre - lassen wir es offen. Der Zukunft sei die Lösung der Frage übergeben: „Musik im Klang ihrer Zeit" oder „Musik im Klang unserer Zeit."

Der Komponist Paumgartner - er hätte viel mehr komponieren sollen! Die Stücke zum Beispiel auf der CD, die gleich präsentiert werden wird - einfach schöne, berührende Musik. Gutes bleibt, Zeitgeist wechselt. Schade übrigens, daß Paumgartners e-moll-Trio heute hier aus praktischen und zeitlichen Gründen nicht aufgeführt wird. Es ist auf der CD enthalten.

Der Festspielpräsident Paumgartner und das Heute: Er hätte Freude über die Bewußtheit, mit der im heurigen Programm der Blick sich auf das ganze Europa und Österreich richtet. Er wäre sicher glücklich über den Erfolg des Festivals „Pfingsten Barock". Er wäre einverstanden mit heutigen Opernregien, in denen Regisseure nicht sich selbst, sondern die durch die Musik verlebendigten Menschen und Menschenschicksale inszenieren. Auf welche Produktionen des heurigen Sommers dies zutrifft oder nicht zutrifft, darüber wird gestritten. Übrigens hatte Paumgartner 1959 seinen Gedanken zur Programmgestaltung der „Salzburger Festspiele" in einem Artikel für die „Salzburger Nachrichten" den Titel gegeben: „Die Summe muß Salzburg heißen". Natürlich meinte er damit, daß Unverwechselbarkeit die tragende Säule dieses Festspiels sein muß.

Ich schließe mit zwei Wünschen. Erstens: Um die Erinnerung an Bernhard Paumgartner nicht nur ideell, sondern pragmatisch lebendig zu erhalten, könnte vielleicht eine Stiftung oder ein „Verein der Freunde Bernhard Paumgartners" gegründet werden. Und ganz zum Schluß: Der Erinnerung an ihn, dem Weiterwirken seiner Ideen, denen die Kunst, die Wissenschaft und Salzburg so viel verdanken, all dem gelte der Wunsch: Ad multos annos.

 

Dieser Vortrag wurde gehalten anläßlich einer Gedenkstunde im Wiener Saal des Mozarteums zu Salzburg,
veranstaltet von den „Freunden der Salzburger Festspiele“, am 30. Juli 2001